Beim Verfassungsgericht
Ab jetzt keine Artikel-Serie mehr, eher ein Protokoll: Der Echtzeit-Lehrgang in der Wirklichkeit mit ungewissem Ausgang ist in Karlsruhe angekommen — Stand 18.08.2021
Meine Verfassungsbeschwerde ist seit dem 27. März 2021 beim Bundesverfassungsgericht.
Aktueller Stand: Sie ist im Allgemeinen Register AR, nicht im Verfahrenregister VR.
Ein Protokoll
27.03.2021
Meine Verfassungsbeschwerde ist bei Gericht.
21.04.2021
Ich erhalte eine Antwort vom Verfassungsgericht.
Erkenntnisse aus Teil 1 — Formale Anforderungen (meiner Vorbereitung der Verfassungsbeschwerde) also hinreichend umgesetzt :-)
Briefdatum 07.04., Poststempel 20.04. Die Dauer zwischen den beiden Daten ist ungewöhnlich lang und wird auf (telefonische) Nachfrage entschuldigt.
Stand der Dinge:
Die Verfassungsbeschwerde ist noch nicht angenommen, aber auch noch nicht nicht angenommen. Sie hängt sozusagen im Posteingang — und ist daher noch nicht im Verfahrensregister, sondern im Allgemeinen Register:
Damit liegen die Schwierigkeiten genau da, wo es zu befürchten war¹ und ist. Laut Bundesverfassungsgericht ist das Problem, dass “gegen die Zulässigkeit Ihrer Verfassungsbeschwerde aus mehreren Gründen Bedenken [bestehen].” Das ist zwar nicht ‘offensichtlich unzulässig’ ² aber auch nur ein bischen besser.
Erkenntnisse aus Teil 2 — Annahme zur Entscheidung also gerade eben ausreichend umgesetzt, um nicht das Verdikt ‘offensichtlich unzulässig’ zu kassieren
In §93a BVerfGG heißt es:
“Sie [Die Verfassungsbeschwerde] ist zur Entscheidung anzunehmen,
a) soweit ihr grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt,
b) wenn es zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 genannten Rechte angezeigt ist.”
Ein mir wohlwollender Rechtswissenschaftler einer deutschen Universität fasst das Schreiben so zusammen:
“Sie haben von Karlsruhe die freundliche Variante des Hinweises erhalten, dass man über Ihre Beschwerde nicht entscheiden wird.”
Soll heißen, Karlsruhe will wohl nicht. Schauen wir mal auf die Gründe:
Zuerst die beiden letzten Sätze dieses Absatzes: man kann nicht, ich kann nicht, gegen ein Gesetz klagen, ohne selbst betroffen zu sein. Soweit, so klar. Ob das nun schade ist oder nicht, ist egal: so sind die Spielregeln.
Inwieweit ich unmittelbar durch §§5, 5a, 20, 28, 28a und 32 IfSG betroffen bin, habe ich ‘nicht ausreichend vorgetragen’.
Hausaufgaben! Vortragen, inwieweit ich durch das IfSG in meinen Grundrechten betroffen bin.
(Hinweis am Rande: mit dem neuen §28b IfSG ist diese Begründung um ein Vielfaches einfacher. Nicht umsonst sind Verfassungsbeschwerden dagegen schon am Tag des Inkrafttretens eingereicht worden. Mittlerweile sind es über 250!)
Plan A: Hausaufgaben machen.
Plan B: §§5, 5a, 20, 28, 28a und 32 IfSG fallen lassen, gegen §28b ‘klagen’ ³.
Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zu den Maßnahmen der Stadt Hamburg sind der Standardhinweis zu der Hürde Subsidiarität und Rechtswegeerschöpfung. Schwer zu sagen, ob das zum jetzigen Zeitpunkt eine Festlegung ist (‘dürfte unzulässig sein’), oder nur ein standardisierter Satzbaustein. Immerhin heißt es in §90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG:
“Das Bundesverfassungsgericht kann jedoch über eine vor Erschöpfung des Rechtswegs eingelegte Verfassungsbeschwerde sofort entscheiden, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist.”
Erkenntnisse aus Teil 3— Hürde Subsidiaritätsprinzip also nicht ausreichend umgesetzt, um das Gericht hier schon von der Annahme des Verfahrens zu überzeugen
Ein hoch komplizierter Punkt. Mir nicht der wichtigste, eher der Vollständigkeit halber in der Verfassungsbeschwerde enthalten. Staatsrechtler unterscheiden nach klassischen und modernen Merkmalen staatlichen Handelns. Letzte umfassen jedes staatliche Handeln. Das ist die o.g. Besprechung noch nicht, aber der Plan, das daraus resultierende Handeln und seine Wirkungen sind es — denke ich.
Ein noch komplizierterer Punkt. Mir ebenfalls nicht der wichtigste, eher aus Empörung über die schludrige Arbeit der Exekutive in der Verfassungsbeschwerde enthalten. Da das Verfassungsgericht hier von ‘offensichtlich nicht’ spricht, kann ich den Punkt wohl abhaken…
Ein mir wohlwollender Jurist aus Hamburg fasst das Schreiben so zusammen:
“Immerhin hat sich das jemand durchgelesen, damit ist auch schon was erreicht.”
Schlußformel. Tatsächlich mit einem inhaltlich nicht passenden Standardsatz (‘Unterlagen nur in Kopie vorlegen’), wie man mir auf (telefonische) Nachfrage bestätigte.
Ergebnis: Hausaufgaben machen, nachreichen oder die Verfassungsbeschwerde wird abgeheftet.
Na, jetzt bin ich so weit gekommen, da werde ich mich auf jeden Fall äußern!
Optionen:
Plan A: wie oben beschrieben: Hausaufgaben machen und die Betroffenheit darlegen und die Einwände ausräumen. Schwierig und anschpruchvoll.
Plan B: §§5, 5a, 20, 28, 28a und 32 IfSG fallen lassen, gegen §28b ‘klagen’. Wesentlich einfacher. Das wäre allerdings genau genommen eine neue Verfassungsbeschwerde.
Plan C: mit Plan A und/oder Plan B einen Nichtannahmebeschluß kassieren und dann zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gehen.
05.05.2021
Während ich über meine Hausaufgaben (Plan A) und Pläne D und E sinniere, entscheidet das Bundesverfassungsgericht über die Eilanträge der Verfassungsbeschwerden gegen §28b IfSG. Pressemitteilung und Entscheidung.
Die Wirkungen der nächtlichen Ausgangsbeschränkung sind ‘nicht offensichtlich unplausibel’. Daher werden “die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung […] abgelehnt.”
Erkenntnisse aus Teil 4 — Eilantrag und Folgenabwägung also ausreichend verinnerlicht, um so was zu vermeiden…
02.08.2021
Nach einer Art Sommerpause geht es weiter:
Ich verfolge Plan D, eine Mischung aus A und B: ‘Hausaufgaben machen’, nichts fallen lassen und gegen §28b IfSG ‘klagen’³.
Das ist so nicht vorgesehen, und auch in der Fachliteratur findet sich wenig dazu. Deshalb habe ich vorab noch eine Verfahren und -Formfrage an das Bundesverfassungsgericht:
Im Mittelteil stehen nur einige juristische Feinheiten…
Mal sehen was Karslruhe sagt, und dann sehen wir weiter.
18.08.2021
Nun, Karslruhe beantwortet
den GRANDIOSESTEN Tippfehler meines Lebens!
Oh, weh. ‘a’ statt ‘b’. ‘§28a IfSG’ statt ‘§28b IfSG’:
Touché.
Aber: “Weitere rechtliche Beratung kann leider nicht erfolgen.”
Das ist -indirekt- die Antwort, um die es mir ging.
Das Bundesverfassungsgericht betrachtet die Beantwortung einer Verfahrensempfehlung als Rechtsberatung. Ich werde also keine Antwort erhalten, ob ich die Verfassungsbeschwerde um einen Punkt erweitern darf oder sogar soll, oder ob eine zweite Verfassungsbeschwerde zu erheben ist.
Also gehe ich auf Nummer sicher, und werde nach Abarbeitung der Hausaufgaben eine zweite Verfassungsbeschwerde erheben.
STRG+C, STRG+V.
Man sieht weiteren Schriftsätzen entgegen: Karlsruhe freut sich auf meine nächste Post! Ich mich auch.
Fußnoten
¹ siehe ‘offensichtlich unzulässig’ im Abschnitt 1 in Artikel Teil 2 von 8: Annahme zur Entscheidung
² siehe wie bei ¹ ebenfalls im Abschnitt 1 in Artikel Teil 2 von 8
³ Beim Bundesverfassungsgericht kann man nicht klagen, nur eine Verfassungsbeschwerde erheben, aber das ergibt kein brauchbares Verb…