Auf dem Weg zum Verfassungs­gericht — Teil 2 von 8: Annahme zur Ent­scheid­ung

Verfassungsbeschwerde für Dummies¹ — ein Echtzeit-Lehrgang in der Wirklichkeit mit ungewissem Ausgang — Stand 06.02.2021

Christian Hannig
21 min readJul 12, 2020
Dicke Bretter bohren ist angesagt — Ein schönes Ergebnis der Bildsuche ‘Dicke Bretter bohren’. — Quelle: Tübinger Liste, eigentlich hier — dort jedoch ohne das Bild, dieses ist alleine hier zu finden.

¹ Dummies meint natürlich nicht uns Bürger, sondern bezieht sich auf die berühmte Ratgeber-Serie für Anfänger von Allem —

[UPDATE 04.01.21]: Nach der Beschäftigung mit dem Thema Corona-Epidemie in Form von Ar­tikeln über die Medien, über die Politik, über die Maßnahmen und die möglichen Lösungen sowie über die Aspekte Kulturkampf um die Maske, Grundrechtseinschränkungen und die völlig vergessene Kreuzimmunität habe ich schon länger aufgehört nur zu lesen, zu diskutieren, zu demonstrieren und ansonsten haupt­säch­lich warten, sondern werde selber gegen die ver­fas­sungs­wid­rig­en Teile der Maß­nahmen klagen. Mit Fertigstellung von Teil 5 ist klar: dies ist der Lockdown, die Mas­ken­pflicht und weitere Maßnahmen — und, wenn es mir gelingt, auch Teile des IfSG! [ENDE UPDATE]

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Was bisher geschah

Alles über die Absicht, den Zweck und Aufbau sowie Struktur der Artikel steht in Teil 1. Bitte dort nachsehen.

In dieser Serie gibt es keine Rosinen. Die Artikel sind nur in der beabsichtigten Reihenfolge sinnvoll zu lesen. Nochmal als Warnhinweis:

Ich erhebe hier keinen Anspruch auf gute Lesbarkeit.

Lesbarkeit überhaupt wird schon ein Erfolg sein: das Verstehen und Übersetzen der in ‘Juristendeutsch’ verfassten Quellen ist anspruchsvoll genug.

Bisher entstandene und künftige Artikel:

Teil 6 wird weiter aufgeteilt in:

Die verwendeten Quellen jedes Artikel werde ich wegen Ihrer Wichtigkeit jeweils zu Beginn auflisten.

Quellen in diesem Artikel:

¹ Hinweise des Bundesverfassungsgerichts zum Weg zur Entscheidung einer Verfassungsbeschwerde

² Pressemitteilung Grundsatzentscheidung zu den Annahmevoraussetzungen einer Verfassungsbeschwerde

³ 2 BvR 1371/96 —Leitsatz zum Urteil vom 09.07.1997

1 BvR 1693/92 — Nichtannahme einer Verfassungsbeschwerde

Artikel ‘Nichtannahme ohne Begründung durch das BVerfG’ auf LTO.de

1 BvR 990/20 — Nichtannahme einer Verfassungsbeschwerde durch das Bundesverfassungsgericht am 03.06.2020

[UPDATE 05.12.20 — neue Quelle]

Das Recht der Verfassungsbeschwerde von Prof. Dr. Rüdiger Zuck, C.H. Beck Verlag, ISBN 9783406701177

Gesetzestexte (die jeweiligen Paragraphen) sind jeweils im Text genannt und dort verlinkt. Weitere Fußnoten in den Absätzen sind mit etc. gekennzeichnet und wer­den gleich im Anschluß erläutert oder weiter ausgeführt.

Aufbau dieses Artikels

In diesem Artikel untersuche ich das Annahme-Verfahren einer Verfassungsbeschwerde nach den folgenden Gesichtspunkten:

  1. Formalitäten des Annahme-Verfahrens
  2. Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts
  3. Aktuelle Rechtsprechung

1. Formalitäten des Annahme-Verfahren

Die Verfassungsbeschwerde wird angenommen oder nicht. Dies ist eine in §93a BVerfGG geregelte Entscheidung.

Dieser Paragraph wird in fast allen obigen Quellen zitiert, daher hier einmal im Volltext:

“(1) Die Verfassungsbeschwerde bedarf der Annahme zur Entscheidung.

(2) Sie ist zur Entscheidung anzunehmen,

a) soweit ihr grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt,

b) wenn es zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 genannten Rechte angezeigt ist; dies kann auch der Fall sein, wenn dem Beschwerdeführer durch die Versagung der Entscheidung zur Sache ein besonders schwerer Nachteil entsteht.”

— Quelle: §93a BVerfGG

Das sind Grundrechte und/oder die in Artikel 20 Abs. 4, Artikel 33, 38, 101, 103 und 104 des Grundgesetzes enthaltenen Rechte.

Besonders schwerer Nachteil ist gegenüber einem nur schweren Nachteil die Anhebung der Hürde der Annahmevoraussetzung.

[UPDATE 10.01.21]: *Beantwortete* FRAGEN: was bedeutet besonders schwerer Nachteil in meinen Fall? Also über die unten am Ende von Kapitel 2 aufgeführten Aspekte hinaus? Strafsachen gelten seit mehreren Jahren immer als besonders schwerer Nach­teil, da man im Gefängnis sitzt, da ist eine Maske oder ein Kontaktverbot schon weniger schwer? — ‘Es liegt auf der Hand, dass ein besonders schwer­er Nachteil für den Beschwerdeführer nur selten nachzuweisen sein wird.’ [Das Recht der Ver­fas­sungs­be­schwerde, S.321, Quelle] Besonders schwer wird also kaum zu blegen sein. [ENDE UPDATE]

Das Bundesverfassungsgericht selber macht auf seiner Webseite folgende Aus­führungen zum Annahme-Verfahren:

“Anträge werden entweder direkt in das Verfahrensregister eingetragen oder in das Allgemeine Register, etwa weil zum Beispiel eine Verfassungsbeschwerde of­fen­sichtlich unzulässig ist oder unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts*⁴ offensichtlich keinen Erfolg haben kann*⁵.

Im Falle einer Eintragung im Allgemeinen Register können die Beschwerde­führ­er gegebenenfalls schriftlich darüber informiert werden*⁶, aus welchen Gründen ihre Eingabe keine Aussicht auf Erfolg haben dürfte. Wird trotzdem eine richt­er­liche Entscheidung verlangt*⁷, wird die Verfassungsbeschwerde in das Ver­fahr­ensregister übertragen; andernfalls wird das Verfahren nicht fortgesetzt.

Die meisten Entscheidungen des Gerichts fallen in den Kammern, die aus je drei Mitgliedern des Senats gebildet werden. Im Fall einer Verfassungsbeschwerde kann eine Kammer die Annahme zur Entscheidung ohne Begründung ablehnen. Ist die Verfassungsbeschwerde hingegen offensichtlich begründet, kann die Kam­mer selbst der Verfassungsbeschwerde stattgeben, wenn die maßgeblichen ver­fas­sungs­rechtlichen Fragen*⁸ bereits entschieden wurden.”

— Quelle (siehe auch ¹ oben): Hinweise des Bundesverfassungsgerichts

offensichtlich unzulässig bedeutet z.B., dass schon Formfehler erkennbar sind.

*⁴ die Berücksichtigung der laufenden Rechtsprechung des Bund­es­ver­fas­sungs­gerichts ist eine immer wieder geforderte und offen­sicht­liche Vor­aus­setz­ung für eine erfolgreiche Verfassungsbeschwerde. Als Gründe kann ich derzeit nur vermuten, daß

  1. das aktuelle geltende Recht ist die Summe aus hier dem Grundgesetz so­wie der — in der laufenden Rechtsprechung entwickelten — Maßstäbe. Das hat den Vorteil, daß sich die Anwendung des Grundgesetzes mit der gesellschaftlichen Entwicklung (siehe z.B. Thema Familienbild) und das trotz statischer Artikel über die Jahrzehnte mitentwickelt und
  2. damit die formalen Hürden nochmals angeboben sind, da man sich als Kläger/Beschwerdeführer ernsthaft mit der Materie auseinandersetzen muss.

[UPDATE 19.09.20]: *Beantwortete* FRAGEN: Sind diese Vermutungen richtig? — Ja.
Das BVerfG entwickelt seine Auslegungsgrundsätze und Begrifflichkeiten selbst durch seine laufende Rechtsprechung. Damit entstehen sog. Entscheidungslinien.Quelle [ENDE UPDATE]

*⁵ offensichtlich keinen Erfolg haben kann bedeutet z.B. das schon Fehler in der Begründung erkennbar sind.

*⁶ eine weitere ‘kann-Vorschrift. Der Worst-Case: Ablehnung der Ver­fas­sungs­beschwerde ohne Begründung :-(

*⁷ wird trotzdem eine richterliche Entscheidung verlangt bedeutet, trotz deutlicher Hinweise des Gerichts, daß man nicht erfolgreich sein wird, den­noch weiter auf einer Entscheidung zu bestehen. Der letzte Strohhalm so­zu­sagen.

[UPDATE 10.01.21]: *Beantwortete* FRAGE: kann auch eine Entscheidung des Gerichts verlangt werden, wenn das Gericht bei der Erst-Ablehnung keine Begründung abgegeben hat? — Ja. ‘Der Beschwerdeführer erhält ein Be­lehr­ungs­schreiben, das ihm empfiehlt, sein Begehren nicht weiter zu verfolgen. Der Be­schwer­deführer kann dem widersprechen und einer richterliche Entscheidung be­geh­­ren.’ [Das Recht der Verfassungsbeschwerde, S.313./314, Quelle][ENDE UPDATE]

*⁸ maßgebliche verfassungsrechtlichen Fragen bedeutet vermutlich, daß die neuen Fragestellungen dieser Verfassungsbeschwerde durch die Anwendung der entwickelten Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts (siehe Fußnote*⁴) entschieden werden kann. Im Umkehrschluß bedeutet dies, daß die Kammer den restlichen Senat hinzuzieht, wenn neue Maßstäbe entwickelt werden müs­sen.

[UPDATE 10.01.21]: *Beantwortete* FRAGE: Ist meine Vermutung richtig? —Ja. Immerhin geht es hier um die absolute Kernkompetenz des Bun­des­ver­fas­sungs­gerichts. [ENDE UPDATE]

Weitere Aspekte sind in der Pressemitteilung ‘Grundsatzentscheidung zu den Annahmevoraussetzungen einer Verfassungsbeschwerde² zu finden:

“Auch wenn die Verfassungsbeschwerde also wegen ihrer grundsätzlichen ver­fas­sungs­rechtlichen Bedeutung (§ 93a Abs. 2 Buchst. a BVerfGG), wegen des be­sonderen Gewichts der geltend gemachten Grundrechtsverletzung […] zur Ent­scheidung angenommen wird, besagt dies grundsätzlich noch nichts über ihre Erfolgsaussicht. Die Verfassungsbeschwerde kann trotz Annahme beispielsweise als unbegründet zurückgewiesen werden.*⁹

Andererseits läßt auch ein verfahrensabschließender Beschluß, wonach eine Ver­fas­sungsbeschwerde wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht zur Entscheidung angenommen wird, keine Rückschlüsse auf die Zulässigkeit oder Begründetheit einer Verfassungsbeschwerde zu. Es kann also sein, daß eine zulässige und begründete Verfassungsbeschwerde z.B. mangels Ent­stehens eines besonders schweren Nachteils nicht zur Entscheidung an­ge­nom­men wird*¹⁰.”

— Quelle (siehe auch ² oben): Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts

*⁹ In der Mathematik heißt das: eine notwendige, aber nicht hinreichende Be­ding­ung. Die Annahme ist schon mal gut, sagt aber noch nicht allzuviel über den Erfolg aus. Dazu weiter unten mehr.

*¹⁰ Das wäre (analog zu *⁹ ) dann jetzt so was wie hinreichend, aber nicht notwendig? — fühlt sich eher an wie Wurzel von -1: ERROR.

Diese Begründung zu verstehen, ist vermutlich sehr hilfreich und vielleicht auch sehr wichtig: das Bundesverfassungsgericht denkt in absoluten recht­lich­en Kategorien, nicht in Gefühlen, Ärger und Empörung.

D.h. eine offensichtlich vorhandene, d.h. (auf Juristendeutsch:) begründete Grundrechts-Verletzung kann dennoch zur Nichtannahme führen, wenn der erlittene Nachteil eben nicht besonders schwer wiegt.

Sagte ich oben Worst Case?

Recht haben, aber nicht Recht kriegen!

Ich glaube, dieser Ausgang wäre subjektiv schlimmer!

Und noch einige erhellende Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in einem Leitsatz zu einem Urteil:

“Die Verfassungsbeschwerde kann nicht gemäß § 93a Abs. 1 BVerfGG zur Ent­scheid­ung angenommen werden.*¹¹ Die in § 93a Abs. 2 BVerfGG geregelten Voraussetzungen für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde liegen nicht vor.*¹²

1. a) Der Verfassungsbeschwerde kommt grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung nicht zu (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Diese ist nur gegeben, wenn die Verfassungsbeschwerde eine verfassungsrechtliche Frage aufwirft, die sich nicht ohne weiteres aus dem Grundgesetz beantworten läßt und noch nicht durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung geklärt*¹³ oder die durch ver­änd­erte Verhältnisse erneut klärungsbedürftig geworden ist.*¹⁴ Im einzelnen schließt sich der Senat dem hierzu vom Ersten Senat entwickelten Maßstab an (vgl. BVerfGE 90, 22 <24 f.>).*¹⁵

b) Die hier mit der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen sind hinreichend geklärt; sie lassen sich mit Hilfe der in der Recht­sprech­ung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten Maßstäbe ohne weiteres ent­scheid­en.*¹⁶ […]

2. a) Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung [von Grundrechten angezeigt]. Das ist der Fall , wenn die geltend gemachte Ver­letzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Gewährleistungen be­sond­eres Gewicht hat oder dem Beschwerdeführer durch die Versagung der Ent­scheid­ung zur Sache ein besonders schwerer Nachteil entsteht. Eine solche exis­tentielle Betroffenheit eines Beschwerdeführers kann sich vor allem aus dem Ge­genstand der angegriffenen Entscheidung oder seiner aus ihr folgenden Be­lastung ergeben. […]

Damit ist für die Annahme der Verfassungsbeschwerde maßgeblich, ob sie hin­reichende Aussicht auf Erfolg hat*¹⁷.”

— Quelle (siehe auch ³ oben): 2 BvR 1371/96 —Urteils-Leitsatz 09.07.1997

Es muss einem also klar sein,

“dass die Nichtannahme einer Verfassungsbeschwerde, rein statistisch gesehen, wesentlich wahrscheinlicher ist als das Gegenteil und dass insbesondere die ent­sprech­ende Beschlussfassung von Gesetzes wegen auch nicht begründet zu werden braucht”.

— Quelle (siehe auch oben): Artikel Nichtannahme durch das BVerfG

*¹¹ Dieser Satz versteckt sich hinter einem Paragraphen, in dem nur das glei­che steht wie in dem Satz selber.

*¹² Zur Erläuterung siehe vorstehende Fußnote *¹¹ (ich kann das auch).

*¹³ Das heißt, die laufende Rechtsprechung mit den sich entwickelnden Maß­stäben sollte hier noch nicht vorbeigekommen sein.

*¹⁴ Bedeutet, daß die laufende Rechtsprechung schon mal hier war, es aber anders aussieht als beim letzten Mal. Das passt ja wohl eindeutig zu 2020!

*¹⁵ vgl. BVerfGE 90, 22 <24 f.> ist der Bezug auf den Beschluß Aktenzeichen 1 BvR 1693/92 — Nichtannahme einer Verfassungsbeschwerde [=Quelle dieses Artikels].

*¹⁶ D.h. das Bundesverfassungsgericht sagt: ‘die rechtlichen Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts sind erstmal von den Gerichten im vorgelagerten Instanzenweg anwendbar, wir möchten bitte keine Verfassungsbeschwerde.’

Die Verfassungsbeschwerde?

Unzustellbar zurück an den Absender!

Hier ergibt sich eine Nische für das Bundesverfassungsgericht:

Das Subsidiaritätsprinzip besagt, daß zunächst prinzipiell der Rechtsweg zu durchschreiten ist, unter anderem auch, weil die “Beurteilung der Ver­fas­sungs­mäß­igkeit […] grundrechtseinschränkender Bestimmungen in den Corona-Ver­ordnungen der Länder Bedarf an einer fachgerichtlichen Auf­be­reit­ung der Entscheidungsgrundlagen” ⁶ (s.a. Kapitel 3. Aktuelle Rechtsprechung) hat.

Gleichzeitig gilt: das Bundesverfassungsgericht trifft die wesentlichen, die wegweisenden — eben Maßstäbe-setzenden — Entscheidungen.

Auf Alltagsdeutsch heißt das, die Gerichte sollen erstmal die Ent­scheid­ungs­grundlagen vorbereiten. Dabei sind die grundlegenden Entscheidungen des Bund­esverfassungsgerichts als Maßstab zu verwenden.

*¹⁷ Damit ist für die Annahme der Verfassungsbeschwerde maßgeblich, ob sie hinreichende Aussicht auf Erfolg hat — braucht eigentlich nicht weiter übersetzt werden…

2. Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts

Absolut wesentlich für die Annahme einer Verfassungsbeschwerde ist neben dem geltenden Recht auch die Kenntnis der laufenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der hierbei entwickelten Maßstäbe:

“ III. 1. […] Über die Beantwortung der verfassungsrechtlichen Frage müssen also ernsthafte Zweifel bestehen. Anhaltspunkt für eine grundsätzliche Bedeutung in diesem Sinne kann sein, daß die Frage in der Fachliteratur kontrovers diskutiert oder in der Rechtsprechung der Fachgerichte unterschiedlich beantwortet wird. *¹⁸ An ihrer Klärung muß zudem ein über den Einzelfall hinausgehendes In­ter­esse bestehen.*¹⁹ Das kann etwa dann der Fall sein, wenn sie für eine nicht un­er­heb­liche Anzahl von Streitigkeiten bedeutsam ist oder ein Problem von ein­ig­em Ge­wicht betrifft, das in künftigen Fällen erneut Bedeutung erlangen kann. Bei der Prüfung der Annahme muß bereits absehbar sein, daß sich das Bundes­ver­fas­sungs­gericht bei seiner Entscheidung über die Ver­fas­sungs­be­schwer­de mit der Grund­satzfrage befassen muß.*¹⁹ Kommt es auf sie hingegen nicht ent­scheid­ungs­erheblich an, ist eine Annahme nach § 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG nicht ge­boten. […]

2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Verfassungsrechte angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Das ist der Fall, wenn die geltend gemachte Verletzung von Grund­rechten oder grundrechtsgleichen Rechten besonderes Gewicht hat*²⁰ oder den Beschwerdeführer in existentieller Weise betrifft. Besonders gewichtig ist eine Grundrechtsverletzung, die […] wegen ihrer Wirkung geeignet ist, von der Aus­übung von Grundrechten abzuhalten.*²¹ Eine geltend gemachte Verletzung hat ferner dann besonderes Gewicht, wenn sie auf einer groben Verkennung des durch ein Grundrecht gewährten Schutzes oder einem geradezu leichtfertigen Umgang mit grundrechtlich geschützten Positionen beruht oder rechtsstaatliche Grund­sätze kraß verletzt.*²² […] Ein besonders schwerer Nachteil ist jedoch dann nicht anzunehmen, wenn die Verfassungsbeschwerde keine hinreichende Aus­sicht auf Erfolg hat oder wenn deutlich abzusehen ist, daß der Be­schwerde­führer auch im Falle einer Zurückverweisung an das Ausgangsgericht im Ergebnis keinen Erfolg haben würde.*²³ […]

Art. 3 Abs. 1 GG läßt dem Gesetzgeber weitgehende Freiheit, Lebenssachverhalte und das Verhalten von Personen entsprechend dem Regelungszusammmenhang unterschiedlich zu behandeln. Das gilt insbesondere dann, wenn die Betroffenen die Möglichkeit haben, sich auf die Regelung einzustellen und nachteiligen Aus­wirkungen durch eigenes Verhalten zu begegnen. […]

Den Beschwerdeführern entsteht schließlich durch die Versagung einer Ent­scheid­ung zur Sache kein besonders schwerer Nachteil*²⁴, der die Annahme der Ver­fas­sungs­beschwerde rechtfertigen könnte.”

— Quelle (siehe auch oben): 1 BvR 1693/92 — Nichtannahme Ver­fas­sungs­be­schwerde

*¹⁸ Jüngster und konkreter Fall in Bezug auf die Corona-Maßnahmen: dieses Paradebeispiel von gegensätzlichen Entscheidungen innerhalb von gut einer Woche: Ablehnung eines Eilantrags gegen Corona-Maßnahmen am 29.06.2020 (13 B 940/20 NE ) und die Außervollzugsetzung der Corona-Maßnahmen (13 B 940/20 NE) am 06.07.2020 beides durch das Ober­ver­waltungsgericht Nordrhein-Westfalen in Münster.

*¹⁹ bedeutet, es muss um grundsätzliche Fragen gehen, die a) bislang noch nicht entschieden wurden und die b) von allgemeiner Bedeutung sind. Ist im Fall dieser Verfassungsbeschwerde absehbar der Fall.

*²⁰ die Grundrechtseingriffe durch die Corona-Allgemeinverordnungen dürf­ten für mehrere Jahrzehnte die Benchmark für besonderes Gewicht sein…

*²¹ weil sie ‘wegen ihrer Wirkung geeignet [sind], von der Ausübung von Grundrechten abzuhalten.’ Deutlicher geht wirklich kaum!

Passt wie die Faust auf’s Auge

Kommt noch besser:

*²² Eine geltend gemachte Verletzung hat ferner dann besonderes Gewicht, wenn sie auf einer groben Verkennung des durch ein Grundrecht ge­währt­en Schutzes oder einem geradezu leichtfertigen Umgang mit grund­recht­lich geschützten Positionen beruht oder rechtsstaatliche Grund­sätze kraß ver­letzt

oh, wie gerne würde ich diesen Satz von jemandem wie Seegmüller, Papier, di Fabio, oder von Schirach analysiert, zerlegt und auf die gegenwärtige Si­tua­tion angewandt hören. Ich bin sicher — es wäre ein Fest!

Auch ich bin der Meinung, daß hier etwa siebzehnfach eine grobe Verkennung des durch ein Grundrecht gewährten Schutzes vorliegt, daß hier geradezu leicht­fertig mit grundrechtlich geschützten Positionen umgegangen wird und daß rechts­staatliche Grundsätze kraß verletzt sind. Aber wer bin ich, einzuschätzen, daß das stimmt?

[UPDATE 05.12.20]: *Beantwortete* FRAGE: Formuliert mir jemand diese Positionen? — bislang nicht… ABER:
Ich danke dem wohlwollenden Juristen, der sich auf­grund von Sachzwäng­en seiner ‘derzeitigen beruflichen Position’ an einer Fa­kul­tät für Rechtswis­sen­schaf­ten einer deutschen Universität nicht in der La­ge sieht, die For­mu­lier­ungs­hilfe zu leisten, der mir aber den außerordentlich hilf­reich­en Hinweis auf das Buch Das Recht der Verfssungsbeschwerde, Quelle , gegeben hat! Dort finden sich die alle Gründe, Argumente und fast schon Formulierungen, die ich suche.

Aus dem Buch zu ziteren erspare ich mir derzeit, da dies so umfangreich sein müss­te wie in Teil 5: Verfassungsrechtliche Bedenken aus dem Buch Das Neue Infektionsschutzrecht. [ENDE UPDATE]

*²³ Wieder ein Schnell-Lehrgang in Jura: ein ’besonders schwerer Nachteil liegt nur vor, wenn die Verfassungsbeschwerde eine ‘hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Wird diese abgelehnt, liegt demnach ein nur schwerer Nachteil vor. — Ursache und Wirkung einmal andersherum…

*²⁴ … gerade mecker’ ich noch über die Verdrehung von Ursache und Wirk­ung, schon wird das Verhältnis hier wieder geradegerückt.

3. Aktuelle Rechtsprechung

Auch die aktuelle laufende Rechtsprechung zu den Corona-Maßnahmen ver­deutlicht die Maßstäbe, die das Bundesverfassungsgericht an diese Fragen an­legt, und sollte somit bei der Formulierung der Verfasungsbeschwerde hel­fen:

Die Ablehnung einer Verfassungsbeschwerde vom 03.06.2020 ist ein sehr lehr­reiches Beispiel. Leider lässt es sich nicht vermeiden, aus der Begründung ausführlich zu zitieren:

“1. Die mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundene Verfassungsbeschwerde wendet sich gegen die bis zum 5. Mai 2020 in Bayern gelt­enden Ausgangsbeschränkungen. Danach war das Verlassen der eigenen Wohn­ung ohne triftigen Grund verboten. Verstöße dagegen wurden als Ord­nungs­wid­rigkeit sanktioniert. Etwaige triftige Gründe waren der Polizei ge­gen­über glaub­haft zu machen. […]

2. Die Beschwerdeführer haben nicht vorgetragen, dass sie einen Antrag auf Über­prüfung der angegriffenen Verordnungsregelungen im Rahmen einer prinzip­alen Normenkontrolle […] gestellt haben.*²⁵

— Quelle (siehe auchoben): 1 BvR 990/20 — Nichtannahme einer Ver­fas­sungs­be­schwerde

*²⁵ —Die prinzipale Normenkontrolle ist die gerichtliche Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit einer Eingriffsermächtigung im Instanzenweg. Das nicht getan zu haben, wird den Beschwerdeführern hier zu ihren Ungunsten vorgehalten. Siehe auch *²⁷ weiter unten.

Weiter in der Begründung:

“3. Sie rügen eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 und 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG und Art. 103 Abs. 2 GG. Die Bewehrung der Ausgangsbeschränkungen als Ordnungswidrigkeit sei nicht mit dem spezifischen Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar. Das gelte bereits für die Be­stimmung der Tathandlung als Verlassen der Wohnung in der Absicht, sich aus anderen als triftigen Gründen außerhalb derselben aufzuhalten. Zudem sei der Katalog der „triftigen Gründe“ offen („insbesondere“). Daher stehe nicht im Vor­hinein fest, welches Verhalten von der Polizei als erlaubt oder als verboten an­ge­sehen werde. Die Pflicht, die Motive für den Autenthalt im Freien gegenüber der Polizei zu offenbaren, verstoße gegen das strafprozessuale Verbot, sich selbst be­lasten zu müssen. Wegen des unkalkulierbaren Risikos von Sanktionen müssten weite Teile des bürgerlichen Lebens in die eigene Wohnung verlagert werden. Die Ver­letzung des Bestimmtheitsgebots nach Art. 103 Abs. 2 GG habe daher eine Ver­letzung von Grundrechten wie der allgemeinen Handlungsfreiheit und der körp­erlichen Bewegungsfreiheit zur Folge.

Eine Verweisung auf fachgerichtlichen Rechtsschutz komme wegen Aus­sichts­los­ig­keit nicht in Betracht.*²⁶ Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (Beschluss vom 28. April 2020–20 NE 20.849 -, juris) habe die angegriffenen Vorschriften in Ver­­fahren des einstweiligen Rechtsschutzes Dritter überprüft, ohne sie vorläufig außer Kraft zu setzen.”

*²⁶ —Statement der Beschwerdeführer: eine Rückverweisung mit der Ver­fas­sungs­beschwerde an die Verwaltungsgerichte komme wegen Aus­sichts­losigkeit nicht in Betracht, — das sieht das Bundesverfassungsgericht im folgenden Ab­satz anders:

“II. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Sie wahrt nicht den Grundsatz der Subsidiarität*²⁷ der Verfassungsbeschwerde nach § 90 Abs. 2 BVerfGG. Dieser verlangt, dass vor Erhebung einer Verfassungsbeschwerde alle nach Lage der Dinge zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergriffen werden, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr zu­sam­men­hängenden, sachnächsten Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen (vgl. BVerfGE 107, 395 <414>; 49, 252 <258>).”

*²⁷Sie wahrt nicht den Grundsatz der Subsidiarität, was weiter oben mit dem Verweis auf die nicht erfolgte prinzipale Normenkontrolle (*²⁵) schon einleitend erwähnt wurde. Damit wird hier die Unzulässigkeit begründet.

“1. Danach haben die Beschwerdeführer, die sich mit der Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen Normen einer landesrechtlichen Verordnung wenden, den nach § 47 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit Art. 5 AGVwGO eröffneten Rechtsweg der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle nicht erschöpft.*²⁸

*²⁸ — Nochmal die gleichen Argumente wie *²⁵ und *²⁷ , nur mit anderen Worten, und dem Hinweis auf Landesrecht.

“a) Der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde gegenüber diesem fach­gericht­lichen Verfahren steht nicht entgegen, dass die angegriffenen Regelungen nach Erhebung der Verfassungsbeschwerde außer Kraft getreten sind.*²⁹ Eine Ver­weis­ung auf die verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle wäre nur dann un­zu­mut­bar, wenn in diesem Verfahren eine nachträgliche Feststellung der Ver­einbarkeit von außer Kraft getretenen Normen mit höherrangigem Recht grund­sätzlich nicht erlangt werden kann. Davon kann jedenfalls hinsichtlich der in den Corona-Verordnungen der Länder enthaltenen Verbote und Be­schränk­ungen nicht aus­ge­gangen werden. Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits ent­schied­en, dass ein Normenkontrollantrag auch gegen eine bereits auf­ge­hobene Rechts­norm zulässig sein kann, wenn während des Normen­kontroll­verfahrens eine auf kurzfristige Geltung angelegte Norm etwa wegen Zeitablaufs außer Kraft getreten ist*³⁰ (BVerwG, Urteil vom 29. Juni 2001–6 CN 1.01 -, juris, Rn. 10). Die in den Co­ro­na-Verordnungen enthaltenen Verbote sind aber gerade dadurch gekenn­zeichnet, dass sie typischerweise auf kur­ze Geltung an­gelegt sind mit der Folge, dass sie regelmäßig außer Kraft treten, bevor ihre Rechtmäßigkeit in Verfahren der Haupt­­sache abschließend gerichtlich geklärt werden kann.*³¹ Es kommt hin­zu, dass die Verbote die grundrechtliche Freiheit häufig schwer­wieg­end be­ein­trächt­igen.*³² Da sie — wie hier die als Ord­nungs­widrigkeit bewehrt­en Aus­gangs­be­schränkungen — zudem in der Regel kei­nes Verwaltungsvollzugs be­dürfen, liegt eine nachträgliche Klärung ihrer Ver­einbarkeit mit Grundrechten im Verfahren der verwaltungsgerichtlichen Norm­enkontrolle nahe.*³³

*²⁹+*³⁰+*³¹ ausgiebige Erläuterungen, daß der Weg durch die Instanzen (Subsidiaritätsprinzip) auch bei bereits wieder außer Kraft getretenen All­gemeinverfügungen einzuhalten ist [*²⁹], auch wenn das wegen der Be­frist­ung absehbar war [*³⁰], weil diese Verordnungen eben eine kurze Gelt­ungs­dauer haben [*³¹].

*³²Es kommt hinzu, dass die Verbote die grundrechtliche Freiheit häufig schwerwiegend beeinträchtigen.’ — endlich mal wieder eine Ansicht, die ich uneingeschränkt teile und befürworte!

*³³ ein weiterer Hinweis, die Allgemeinverfügungen doch bitte vor einer Ver­fas­sungsbeschwerde zuerst auf Landesebene anzugreifen.

“b) Die Verfassungsbeschwerde ist hinsichtlich der Überprüfung von bereits außer Kraft getretenen Verboten in den Corona-Verordnungen der Länder auf ihre Ver­ein­barkeit mit Grundrechten auch dann gegenüber dem ver­walt­ungs­ge­richt­lichen Normenkontrollverfahren nach § 47 Abs. 1 VwGO subsidiär, wenn einst­weiliger Rechtsschutz nach § 47 Abs. 6 VwGO nicht nur summarisch, son­dern nach ein­gehender Prüfung der Sach- und Rechtslage ab­ge­lehnt wurde, was die Be­schwer­deführer unter Bezugnahme auf den in einem Ver­fahren Dritter er­gang­enen Be­schluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 28. April 2020 (- 20 NE 20.849 -, juris) geltend machen.*³⁴ Auch dann ist es möglich, dass das Ober­ge­richt im Hauptsacheverfahren zu einem anderen Er­geb­nis gelangt, zumal zur Rechtmäßigkeit der verschiedenen Corona-Verbote noch keine gefestigte ober­gerichtliche oder höchstrichterliche Rechtsprechung be­steht.*³⁵ Anderenfalls ist nicht ausgeschlossen, dass die Vereinbarkeit der Ver­bote mit den — bundes­recht­lichen — Grundrechten des Grundgesetzes noch in einem Revisionsverfahren über­­prüft wird. Im Übrigen hat der Bayerische Ver­walt­ungs­gerichtshof hier die Vereinbarkeit der als Ordnungswidrigkeit be­wehrt­en Aus­gangsbeschränkungen mit Art. 103 Abs. 2 GG in dem oben ge­nann­ten Be­schluss nicht etwa abschließend bejaht, sondern angenommen, dass der Norm­en­kontrol­lantrag in der Haupt­sa­che „voraussichtlich überwiegend unbegründet sein wird“ *³⁶ (BayVGH, Be­schluss vom 28. April 2020–20 NE 20.849 -, juris, Rn. 28).”

*³⁴ Auch wenn das Gericht (Verwaltungs- oder Oberverwaltungsgericht) den von Dritten beantragten Rechtsschutz ‘nicht nur summarisch, sondern nach eingehender Prüfung der Sach- und Rechtslage’ — d.h. im Eilrechtsschutz­ver­fahren — ablehnt, muss die verfassungsrechtliche Überprüfung aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts dennoch erst dort, bei eben jenem Gericht und dann erst in Karlsruhe, geprüft werden.

Keine guten Nachrichten.

*³⁵ Denn es kann ja sein, daß das Gericht im Hauptsacheverfahren —im­mer­hin gibt es ‘noch keine gefestigte obergerichtliche oder höchstrichterliche Rechts­prechung‘ — anders als im Eilrechtsschutzverfahren entscheidet.

Doch keine so schlechten Nachrichten, aber es wird mühsam!

*³⁶ Ein vorsichtiger, zarter Hinweis, daß alles noch möglich ist.

“2. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht deshalb ausnahmsweise vor In­an­spruch­nahme fachgerichtlichen Rechtsschutzes zulässig, weil sie allein spezifisch ver­fas­sungs­rechtliche Fragen aufwirft, die das Bundes­ver­fas­sungs­gericht auch ohne vorherige fachgerichtliche Aufbereitung der tatsächlichen und rechtlichen Ent­scheid­ungsgrundlagen beantworten könnte*³⁷ (vgl. BVerfGE 150, 309 <327 Rn. 44>)*³⁸.”

*³⁷ Puh, was ein Deutsch… — der Satz ist so lang, daß man gegen Ende das ‘nicht’ vom Anfang vergisst, und ihn nicht versteht. Also:

  1. die Beschwerde ist nicht zulässig.
  2. sie ist auch nicht ausnahmsweise zulässig
  3. sie ist deshalb nicht zulässig, weil sie nicht nur spezifisch ver­fas­sungs­recht­liche Fragen aufwirft’.
  4. (Für diese Fragen ist in der Tat das Bundesverfassungsgericht zuständig)
  5. hier werden jedoch Fragen aufgeworfen, die eine ‘vorherige fachgerichtliche Aufbereitung der tatsächlichen und rechtlichen Entscheidungsgrundlagen’ brauchen,
  6. deshalb ist sie nicht zulässig.
  7. deshalb gilt hier das Subsidiaritätsprinzip

*³⁸ Mit der Begründung dieser Nichtannahme werde ich mich im nächsten Artikel, Teil 3 — Subsidiaritätsprinzip, ausführlich befassen. Müssen.

“Diese Ausnahme ist auf Fälle beschränkt, in denen sich ein Beschwerdeführer unmittelbar gegen ein förmliches Gesetz wendet und das fachgerichtliche Ver­fahren für ihn bestenfalls dazu führen kann, dass das angegriffene Gesetz gemäß Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt wird. In dies­en Fäl­len wird einem Beschwerdeführer nicht zugemutet, zunächst ein fach­gerichtliches Verfahren anzustrengen, wenn dessen Durchführung keine ver­bes­sert­en Grund­lagen für die dem Bundesverfassungsgericht vorbehaltene Ent­scheid­ung über die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes erwarten lässt.*³⁹ Anders liegt es hingegen, wenn — wie hier — der Beschwerdegegenstand eine unt­ergesetz­liche Norm ist. Insoweit steht auch Fachgerichten die Kompetenz zur Normverwerfung zu, so dass selbst dann, wenn allein spezifisch ver­fas­sungs­recht­liche Fragen aufgeworfen sind, auch ohne Anrufung des Bund­es­ver­fas­sungs­gerichts Rechtsschutz erlangt werden kann*⁴⁰ (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 31. März 2020–1 BvR 712/20 -, Rn. 16).”

*³⁹ Hier wird wirklich mal eine Ausnahme definiert: Wenn absehbar ist, daß das normalerweise anzurufende Gericht den Fall z.B. wegen grundsätzlicher Bedeutung ohnehin dem Bundesverfassungsgericht vorlegen wird, kann dies­es die Beschwerde auch direkt annehmen.

*⁴⁰ Und hier wird die Ausnahme für den Fall meiner Beschwerde absehbar wieder geschlossen: Wenn es um eine untergesetzliche Norm geht, und die Allgemeinverfügungen sind solches, dann können auch die (Ober-) Ver­walt­ungs­gerichte über die Verfassungsmäßigkeit entscheiden.

Und jetzt — Butter bei die Fische!

Und zwar nicht zu knapp:

Im Übrigen hängt die verfassungsrechtliche Beurteilung der angegriffenen Corona-Verbote nicht allein von spezifisch verfassungsrechtlichen Fragen ab.*⁴¹ Auch für die nachträgliche Klärung der Vereinbarkeit außer Kraft getretener Corona-Verbote mit den Grundrechten wird es wesentlich da­rauf ankommen, welche tatsächlichen Rahmenbedingungen*⁴² der Co­ro­navirus-Pandemie sowie fachwissenschaftliche — virologische, epi­de­mio­logische, medizinische und psychologische — Bewertungen*⁴³ und Ri­si­ko­einschätzungen*⁴⁴ während der Geltungsdauer*⁴⁵ der Normen be­stand­en. Dabei können sich die maßgeblichen tatsächlichen Umstände in den Länd­ern auch deutlich unterscheiden.*⁴⁶ Zudem kann für die Ent­scheid­ung die Auslegung der in den Verordnungen enthaltenen unbestimmten Rechts­be­griffe maßgeblich sein.*⁴⁷ Folglich besteht auch mit Blick auf eine nach­trägliche Be­ur­teil­ung der Verfassungsmäßigkeit außer Kraft getretener grund­rechts­ein­schränk­ender Bestimmungen in den Corona-Verordnungen der Länder Bedarf an einer fachgerichtlichen Aufbereitung der Ent­scheid­ungs­grund­lagen.*⁴⁸ Damit sprechen zugleich gewichtige Gründe gegen eine sofortige Ent­scheidung über sol­che Ver­fas­sungs­beschwerden vor Erschöpfung des Rechts­wegs nach § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG wegen allgemeiner Bedeutung*⁴⁹ (vgl. BVerfGE 8, 222 <227>; 13, 284 <289>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 31. März 2020–1 BvR 712/20 -, Rn. 17).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.”

— Quelle (siehe auchoben): 1 BvR 990/20 — Nichtannahme einer Ver­fas­sungs­be­schwerde

*⁴¹ Das Bundesverfassungsgericht macht die Tür — nein, das Tor — weit auf.

*⁴² Es dürfte mittlerweile klar sein, wie sehr es hier manchmal auf einzelne Worte ankommt. Daher ist das Wort ‘tatsächlichen’ vor den Rahm­en­be­ding­ungen hochinteressant! Das reicht bis dahin, daß es möglich ist, daß das Ge­richt von den Darstellungen der Politik abweicht und auch die Stimmen von Fachleuten hört: die Rahmenbedingungen sind, was Lauterbach sagt, die tat­sächlichen Rahmenbedingungen sind, was Püschel sagt.

[Falls sich jemand tatsächlich fragt, wer Püschel ist: siehe u.a. hier]

— Ich bin verdammt gespannt, ob sich das ‘tatsächlich’ nicht noch als Büchse der Pandora erweist, die den Verantwortlichen in der Regierung um die Ohr­en fliegt!

*⁴³ Ein großes weites Scheunentor! Das Bundesverfassungsgericht will Fakt­en, und nicht die Gruselgeschichten von Söder und Spahn: Zweite Welle, zwei­te Welle! Und sie wollen viele Fakten!

*⁴⁴ Die Risikobewertung steht der Regierung zu,
[UPDATE 31.10.20]: siehe Artikel Teil 7 —Der Prog­no­se, ­Ermessens- und Handlungsspielraum. [Link folgt][ENDE UPDATE]
Ich werde trotzdem dagegen an­stinken!

*⁴⁵ Ganz wichtig! Das Gleiche kann zu unterschiedlichen Zeitpunkten oder unter unterschiedlichen Rahmenbedingungen unterschiedlich zu bewerten sein!

Ein Ergebnis unter Berücksichtigung aller vorgenannter Punkte kann z.B. die unterschiedliche Bewertung aufgrund unterschiedlicher ggfs. auch nicht vor­hand­ener wissenschaftlicher Kenntnisstände sein: Maskenpflicht im März: klar angezeigt, im April: innerhalb des Prognosespielraums, im Mai: zwei­fel­haft, im Juni: verfassungswidrig. Zum Beispiel.

*⁴⁶ Das ist schon fast eine Kriegserklärung an pauschale Verbote oder All­ge­mein­verfügungen:-)

*⁴⁷ Das Scheunentor geht ja noch weiter auf!?! ‘Unbestimmte Rechtsbegriffe’? — darf einem Gesetzgeber nicht passieren! Dann könnte einem ja ein ganzes Gesetz um die Ohren fliegen.

*⁴⁸ Das ist die ziemlich eindeutige Ansage, daß das Bundesverfassungsge­richt erwartet —fast verlangt — , daß der Weg durch die Instanzen gegang­en wird!

*⁴⁹ Und dies wird hiermit nochmals bestärkt!

In §93a BVerfGG heißt es: “(2) [Die Verfassungsbeschwerde] ist zur Ent­scheid­ung anzunehmen, […] soweit ihr grundsätzliche verfassungsrechtliche Be­deut­ung zukommt […]

Inwieweit dieser Satz mit der Erwartung des Bundesverfassungsgerichts an den Weg durch die Instanzen in Einklang zu bringen ist, und was das für mei­ne Verfassungsbeschwerde bedeutet, erkunde ich im nächsten Artikel.

Diese sehr aufschlußreichen Fußnoten-Punkte 41 bis 49 werden in den nächsten Artikeln, insbesondere in Teil 6 bis Teil 10, intensiver be­hand­elt.

In diesen Punkten zählt das Bundesverfassungsgericht die

  • tatsächlichen Rahmenbedingungen
  • die fachwissenschaftliche Bewertungen und
  • die Risikoeinschätzungen auf.

Damit sind die wichtigen Rechtsbegriffe Prognosespielraum (siehe Teil 7 [Link folgt]) und Ermessensspielraum (siehe Teil 8 [Link folgt]) der Politik erfasst, die noch in keinem mir bekannten Beschluß oder Urteil eine nen­nens­werte Rolle gespielt haben.

Mir scheint, hier hat das Bundesverfassungsgerichts bereits einmal in der Tiefe und der Breite den gesamten Rahmen für künftige Ent­scheidungen abgesteckt.

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Das Kleingedruckte

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Historie der Text-Überarbeitungen

  • 06.02.21 — Nummerierung der Artikelserie geändert: 8 Teile statt ‘[n]’
  • 10.01.21³ — OFFENE FRAGE nach Fußnote *⁸ beantwortet
  • 10.01.21² — OFFENE FRAGE nach Fußnote *⁷ beantwortet
  • 10.01.21¹ — OFFENE FRAGE nach Fußnote beantwortet
  • 04.01.21² — Artikelstruktur aufgrund der Aufteilung von Teil 6 in die Teile 6.1 bis 6.6 überarbeitet
  • 04.01.21¹ — Intro überarbeitet und Ziele der Verfassungsbeschwerde erweitert
  • 05.12.20² — Absatz am Ende von Kapitel 2 Maßstäbe des Bundes­ver­fas­sungs­gerichts, mit Beantwortung einer OFFENEN FRAGE eingefügt
  • 05.12.20¹ — Neue Quelle eingefügt
  • 31.10.20 — Update in Kapitel 3 bei Fußnote *⁴⁴ eingefügt, Titel Teil 7 geändert, Hinweis auf Teil 8 gelöscht
  • 14.10.20 — Update Artikelstruktur, Teil 5 verlinkt
  • 26.09.20³ — Update Artikelstruktur, Teil 5 in Verfassungsrechtliche Bedenken umbenannt
  • 26.09.20² — Übersicht Bearbeitungsstand offene Fragen des Artikels zu Beginn eingefügt
  • 26.09.20¹ — Quellen und mangels inhaltlicher Verwendung im Artikel über eine Erwähnung in Fußnote *¹⁸ hinaus aus der Quellenübersicht gelöscht. Letzen Satz in Absatz zu Fußnote *¹⁸ entsprechend gelöscht
  • 19.09.20² — Update bei Fußnote *⁴ eingefügt
  • 19.09.20¹ — Silbentrennung verbessert
  • 05.08.20 — Nochmalige Korrektur Rechschreibung (Dank an U.N.!)
  • 03.08.20 — Quellenangaben unter den Zitaten erweitert
  • 02.08.20 — Link auf Artikel Teil 4 in Artikelstruktur eingefügt
  • 26.07.20² — Formatierung Absatz Aufbau des Artikels geändert
  • 26.07.20¹— Übersicht Struktur der Artikelserie aktualisiert und Link auf Artikel Teil 3 — Hürde Subsidiarität eingefügt
  • 25.07.20 — Nummerierung von drei Fußnoten (*²³, *²⁴ und *³⁷) korrigert
  • 13.07.20⁵ — Fußnoten in Kapitel 3 fertig gestellt
  • 13.07.20⁴ — Letzen Absatz des Artikel überarbeitet
  • 13.07.20³ — Absatz Aufbau dieses Artikels zwischen Quellen und Kapitel 1 eingefügt
  • 13.07.20² — Artikel online
  • 13.07.20¹ — Fußnoten in Kapitel 3 ergänzt
  • 12.07.20 — zweite Fassung — online zum Korrekturlesen — Kapitel 3 noch ohne Fußnoten
  • 11.07.20 — erste Fassung

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