Grundrechtseinschränkungen, weil keiner mehr Dreisatz kann

— oder: Grundrechtsgewährung als Funktion des PCR-Tests — oder: Grundrechtsausübung in Abhängigkeit von der Ver­füg­bar­keit von Test-Reagenzien — oder Grund­rechts­ein­griffe wegen schlechter Material­be­schaf­fung — oder…

Christian Hannig
12 min readNov 7, 2020
Viele Millionen Menschen haben nicht aufgepasst.
Screenshot von drei Stellen der Seite https://de.wikipedia.org/wiki/Dreisatz

Noch ein Artikel, der Sechste in einer Serie von Rants gegen alles mög­liche in Sachen Corona. Eigentlich schreibe ich gerade Teil 6 (meiner Vorbereit­ung der Verfassungsbeschwerde): Die Epidemiologische Lage.
Die allgemeine Nachrichten- und ‘Fakten’lage ist dabei so weit von der Wirklichkeit entfernt, daß ich einen Teil der inhaltlichen Vorbereitung hierher auslagere. —

Zur Einordnung nochmal vorweg: ich bin ein “…” (meine Toch­ter ist sprach­los) Familienvater aus Hamburg, und wundere mich, in welche Schub­laden ich gesteckt wer­de: vor einiger Zeit war ich noch Teil der links­grün­-ver­siff­ten Bild­ungs-Bourgeoisie, aktuell gehöre ich zu meinem Erstaunen und gegen meinen Wil­­len an­schein­end zu den Reichsbürg­ern, Impfgegnern, der AFD, der FDP und den Ver­schwör­ungs­theo­­retik­ern. Wobei die FDP langsam wählbar wird.

Eigene Einschätzung: #Team Püschel #Team Streeck #Team Ioannidis

Mitte September schrieb ich, wir führen hier gerade die unwissenschaft­lichs­te ’Diskussion’ der Welt­geschichte.

Seit dem ist es eher noch schlimmer ge­wor­den.

So schlimm, daß ich mich nicht mal auf einen Titel festlegen kann. Gehen wir die Varianten doch mal chronologisch durch:

Grundrechtseingriffe wegen schlechter Material­beschaffung

Klingt skandalös und fast schon reißerisch. Ist aber gar nicht von mir:

Sondern von Hans-Jürgen Papier, Präsident des Bundesverfassungsge­richts von 2002 bis 2010. Er sagte am 01.04.20 im Interview in der SZ:

“Es wäre fatal, wenn wir wegen offensichtlicher Mängel in der Res­sour­c­en­be­schaf­fung länger auf extreme Eingriffe in die Freiheit aller an­ge­­wies­­en sein sol­lten.”

Diese Aussage halte ich für die unter-beachtetste Aussage des Jahres. Sie ist für Anfang April, ein paar Tage nach dem Lockdown sehr gut informiert und vielsagend:

Lt. Pandemieplan 2017 [PDF] des RKI (siehe hier ausführlich) war der Plan:

“Schutz vulnerabler Grup­pen: Die Schutz­maßnahmen werden auf die Per­son­­en­gruppen kon­zen­triert, die ein er­höh­t­es Risiko für schwere und tödliche Krank­heits­verläufe auf­weis­en. Dies um­fasst auch Personen, die engen Kon­takt zu vul­nerablen Gruppen haben, z. B. medizinisches Personal.” [S.23]

Entsprechend hat der Bundesgesundheitsminister Vorsorge zu treffen:
Spahn sagt am 25.03. bei Lanz im ZDF dazu jedoch nur, dass die ‘Mater­ial­knappheit eine Riesenüberraschung’ war:

Ausschnitt Screenshot von https://www.youtube.com/watch?v=VMStfqoIWjc

Folge: Lockdown für alle, statt Schutz für die Risiko-Gruppen.
Der Rest ist Geschichte.

PS: in der aktuellen ‘Diskussion’ heißt es oft, Alte einsperren ist asozial, ist lo­gistisch nicht umsetzbar, etc. Aber auch diese Schutzkonzepte für Risiko-Grup­pen wurden von Experten entwickelt und sagen deutlich:

“Für die Risikogruppen muss aus dem daran geknüpften Vorgehen ein Vor­teil er­wachsen, z.B. durch bevorzugte und geschützte Nutzung des öf­fent­lichen Rau­m­es oder durch besondere Unterstützung bei der Pflege” [Thesenpapier 2.0 des IMVR, PDF, S.55]

Grundrechtsgewährung als Funktion eines PCR-Tests

Gemeint ist nicht, dies ist seine Funktion im Sinne von ‘Nutzen’, sondern dass der Test ein Ergebnis ermittelt, in dessen Abhängigkeit Grundrechte ge­währt werden. Etwa so:

Der PCR-Test ist zum alles entscheidenden Instrument in der Bestimmung der Epidemie erklärt worden. Und dies, obwohl er das laut Pandemieplan 2017 [PDF] des RKI (siehe hier für eine Analyse des Plans) gar nicht sein sollte:

Schnelltests liefern zwar ein zeitnahes Ergebnis, können aber wegen nied­rig­er­­er Sensitivität und Spezifität nicht uneingeschränkt em­pfohl­en wer­den. Im Ein­zel­fall kann ein Schnelltest vor Ort zur schnellen Un­ter­stütz­ung der Ent­­scheid­­ung über Therapie und weiteres Prozedere ein­ge­setzt werden. […] Bei an­haltender Übertragung des pandemischen Virus in der Be­völk­er­ung wird die La­bordiagnostik nur eine untergeordnete Rolle spielen.” [S.20]

Das hat auch seine guten Gründe. Denn:

Der PCR-Test ist ungeeignet für Epidemien

  • die länger andauern
  • die eine niedrige Prävalenz aufweisen, und
  • Untauglich, zwischen aktuter Infektion und überstandener zu unterscheiden

(Ausführliche Herleitung dieser Punkte im Artikel ‘Was wäre die Lösung?)

Einfluss Testzeitpunkt

Zunächst hat der Testzeitpunkt einen erheblichen Einfluß auf das Tester­geb­nis, wie das Institut für Medizin­so­zi­ologie, Versorgungs­forsch­ung und Re­ha­bili­tations­wissenschaft — IMVR der Universität Köln im Thesen­papier 2.0 zur Pandemie [PDF] schreibt:

“Abb. 5: Einfaches Entscheidungsbaum-Modell zur Testung von 100.000 Per­son­en mit einer Prävalenz von 1:100 [d.h. 1%]. In Option A werden von 1000 Infizierten nur 400/500 (100 entgehen der Testung) symptomatischen In­fi­ziert­en getestet (plus durch Kontaktuntersuchungen 100 asymptomatisch Infizierte). Von 99.000 Nicht­infizierten werden 9000 Personen getestet (z.B. Kontaktunt­er­such­ungen), es ergeben sich hier 900 fp [=falsch positiv] Befunde. In Option B wer­den alle Per­­sonen getestet unabhängig vom Infektionsstatus. 900 richtig er­kan­nten In­fi­zier­ten steh­en 9900 Personen gegenüber, bei denen der Test positiv ist, obwohl sie nicht in­fekt­iös sind (fp Befunde). Ergebnis: In Option B werden 11 mal so viele fp [=falsch positiv]Befunde er­hoben wie in Option A.” [S.29]

(Deutschlands Testmethodik entspricht einer Schlangenlinie zwischen den Methoden A und B bzw. oft einer Mischung aus Beiden. Am 03.11. erklärte das RKI offiziell den Stratigiewechsel zu mehr ‘A’, weil die anfallenden Mengen bei ‘B’ nicht mehr zu bewerkstelligen sind.)

Abbildung 5 aus dem Thesenpapier, S. 29

Viel und heiß diskutiert werden auch die Sensitivität und die Spezifität des Tests: die Befürworter, die Faktenchecker, die Leitmeiden betonen stets und immer die sehr hohen Genauigkeiten von kurz unter 100%.

Mehr sagen Sie nicht. Oder, typisch RKI, allenfalls dies:

Screenshot aus https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/gesamt.html

Klingt gut. Aber die wenigsten Testergebnisse erfolgen im Rahmen eines klinischen Befundes, insofern gibt es keine Kontrolle auf ‘plausibel’, (und Beispiele für haufenweise ‘nicht-plausibel’ liefert sogar die SZ. Siehe weiter unten). ‘In der Regel’ ist noch schwächer als ‘grundsätzlich’. Der letzte Satz oben ist ein Schmankerl. Übersetzung:
Wenn die Tests korrekt durchgeführt würden, und wenn die Tests fachkundig beurteilt würden, könnte man von einer geringen Zahl falsch positiver Befunde ausgehen. Die Einschätzung der Lage wird demnach verfälscht.”
Siehe hierzu auch alles in diesem Artikel Folgende.
Ach, und die Wörtchen ‘demnach’ und ‘davon ausgehen’ dienen dem RKI hier als Haftungs­aus­schluss…

Einfluss Prävalenz

Aber auch 99,9% ändern leider gar nichts an einem grundsätzlichen Problem:

Screenshot aus dem Artikel ‘Anlassloses Testen auf SARS-Cov-2’. Quelle: ebm-netzwerk.de.
Für diese Darstellung hat das Netzwerk Evidenzbasierte Medizin viel Kritik erhalten und beantwortet.

Weniger als 1% der Ergebnisse sind hier richtig positiv!

Aber auch z.B. folgende ‘bessere’ Werte von Sensitivität und Spe­zi­fi­tät als auch eine 20-mal höhere Prävalenz führen zu katastrophalen Ergebnissen:
[mit Rechenweg wie in der Grafik, Werte wie im Labor-Ringversuch vom April]
Prävalenz 1%, d.h. 1.000 Infizierte bei 100.000 Menschen (statt 50)
Sensitivität 98,0% (statt 70%), d.h. 980 richtig po­si­tive Ergebnisse
Spezifität 98,6% (statt 85%), d.h. 1.386 falsch positive Ergebnisse, d.h.
2.366 positive Ergebnisse, von denen 58,6% falsch sind!
Positiv prä­dik­ti­ver Wert dann immerhin 41,4% (statt 0,7% im Schaubild).

Aber selbst damit Grundrechtseingriffe begründen, Quarantänen anordnen und die epidemische Lage beobachten? Wohl kaum!

Einfluss ct-Wert

Auch ist der Test ungeeignet um Aussagen zu einer Infektion oder der In­fek­ti­ösität zu machen, da er nur eine Gen-Sequenz vervielfacht um diese nach­weis­­bar zu machen. Die Problematik hat sogar die SZ erkannt:

Screenshot von https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/corona-viele-gesundheitsaemter-wissen-nicht-wie-ansteckend-infizierte-sind-1.5021679

“Der Test, mit dem Menschen bundesweit auf das Coronavirus getestet werden, hat einen großen Vorteil, der zugleich ein Nachteil ist: Dieser PCR-Test ist sehr sensitiv. Das bedeutet, […] dass zahlreiche Menschen ein positives Testergebnis bekommen, obwohl die Infektion bei ihnen schon so lange zurückliegt, dass sie kaum noch Viren im Körper haben. Sie können deshalb niemanden mehr an­stecken, eine Quarantäne ist somit sehr fragwürdig. Doch in der Praxis spielt dies kaum eine Rolle.

Dabei könnten die Testlabore sehr wohl eine Aussage darüber treffen, wie viele SARS-CoV2-Viren ein Patient in sich trägt: Den entscheidenden Hinweis auf die Viruslast gibt der Ct-Wert (“Cycle threshold”). Er zeigt an, wie viele Runden die PCR-Methode angewendet werden muss, bis sich das Virus nachweisen lässt: In jedem PCR-Zyklus wird das Viruserbgut, das in einer Probe enthalten ist, ver­mehrt; je weniger Viren vorhanden sind, desto mehr Zyklen werden benötigt, bis das Erbgut so angereichert ist, dass es als Virusnachweis taugt. […]

Bei einem Patienten mit vielen Viren im Körper schlägt der Test häufig nach 10 bis 15 Runden an, sagen Labormediziner. Wenn die PCR aber mehr als 30 Run­den braucht, um genügend Viruserbgut zusammenzuhaben, ist ein Patient sehr wahrscheinlich nicht mehr ansteckend. Das Robert-Koch-Institut schreibt auf seiner Website […] verklausuliert, das aus den Proben von Menschen mit ein­em Ct-Wert von mehr als 30 sich im Labor kein Virus mehr vermehren lässt.

Doch die Labore stoppen ihre PCR-Analysen nicht bei einem Ct-Wert von 30, son­dern in der Regel erst bei 37 oder 40, […] Dadurch erhalten zahlreiche In­fi­zier­te trotz vernachlässigbarer Virenzahl in ihrem Körper ein positives Test­ergebnis.”

Es heißt doch seitens der Corona-Warner immer, Menschen können sich ex­po­nentielles Wachstum nicht vorstellen, sonst würden sie doch erkennen, wie schlimm die Lage schon sein könnte.

Wenden wir eine Verdeutlichung von exponentiellem Wachstum doch mal auf den cycle-threshold an:

Ich gehe mal davon aus, daß die Legende mit dem König, dem Schachbrett und der Belohnung aus Reiskörnern allgemein bekannt ist. Sie dürfte das wohl bekannteste Bei­spiel für die Problematik von exponentiellem Wachstum sein. Nehmen wir nun ein Reiskorn als ein gefundenes Stück Viren-Genom. Dieses wird wird in jedem Zyklus verdoppelt um es schließlich an die Grenze der Nachweisbarkeit zu bringen. Hierbei ist bekannt, daß ein Nachweis nach 10 bis 15 Zyklen (zweite Reihe Felder auf dem Schachbrett!) auf eine große Vi­renlast schließen lässt. Ab 30 Zyklen (kurz vor der Mitte des Schachbretts!) ist Schluß, da die gefundene Menge so gering ist, daß sich diese in einer Virus-Kultur im La­bor nicht mehr nachzüchten lässt. Das gilt gemeinhin als nicht (mehr) in­fek­ti­ös.

Nachgewiesene Viren-Genom-Menge im PCR-Test in Abhängigkeit der durchlaufenen Zyklen dargestellt in Reiskörnern und deren Gewicht. Ab 30 Zyklen ist die Ursprungsmenge Viren-Genom so gering, daß nicht einmal vom RKI noch von einer Infektiösität ausgegangen wird, getestet wird dennoch weiter.

Getestet wird lt. SZ dennoch immer bis 37 oder 40 Zyklen (d.h. deutlich über die Mitte des Schachbretts hinaus). Das ist, wie auf der Suche nach der Na­del im Heuhaufen, die Nadel mittels PCR solange zu vermehren, bis man den Heu­­hau­fen unter dem entstandenen Nadelhaufen nicht mehr sehen kann! (nicht von mir, aber ich weiß die Quelle nicht mehr…)
Nur wird der ct-Wert, anders als die Mitteilung INFEKTIÖS, QUARANTÄ­NE! oft nicht wei­ter­gegeben (soviel zur Ansage vom RKI der ‘korrekten Durch­führung und fachkundig Beurteilung der Tests’).

Einfluss Dauer der Epidemie

Ebenfalls ist man lt. RKI auch lange nach einer überstandenen Infektion noch test-positiv, schreibt die SZ:

Screenshot von https://www.sueddeutsche.de/politik/coronavirus-test-ct-wert-umfrage-gesundheitsaemter-1.5057646

“ ‘Dass diese positiven PCR-Ergebnisse bei genesenen Patienten nicht mit An­steck­ungsfähigkeit gleichzusetzen ist, wurde in mehreren Analysen gezeigt’, schreibt das RKI.”

Je länger eine Epidemie andauert, desto mehr Menschen haben eine In­fektion gehabt, (ob nun asymptomatisch oder symptomatisch), und des­to mehr Menschen werden in einem völlig gesundem Zustand einen positiven Test haben!

Was steht im Pandemieplan vom RKI? ‘Bei an­haltender [Dauer] wird die La­bordiagnostik nur eine untergeordnete Rolle spielen.’

Soweit die einfachen Probleme des PCR-Tests.

Kommen wir zu den richtigen Problemen:

Der Sachverständige Prof. Bergholz gibt am 28.10.20 vor dem Gesund­heits­ausschuss des Bundestags folgende Stellungnahme [PDF] ab:

“Im momentanen Zustand entspricht die Teststrategie in keiner Weise den Qua­li­tätsanforderungen der Technik oder dem Stand der Wissenschaft, [namentlich] ISO 31000: ‘Risk Management’, […] ISO 9001–2015: ‘Quality management systems — Requirements’, […] ISO 15189:2012: ‘Medical la­bo­ratories’ [und] JCGM 100:2008 ‘Evaluation of measurement’.” [S.3]

“Die folgenden Anforderungen der Normen sind beim PCR Test für SARS Cov-2 nicht erfüllt: Eine Probennahme in nicht dafür vorgesehenen Räumen oder gar im Freien an Autobahnen stellt eine signifikante Abweichung von einer de­finierten Testumgebung statt. […] Jedes Labor definiert zurzeit seinen eigenen ct Wert (ct = cycle threshold, bei dem entweder ein Signal vorliegt (= Test po­si­tiv) oder nicht (= Test negativ)). Der Einfluss dieses Parameters auf den Schwel­lwert, ab dem ein Testergebnis als positiv gewertet wird, ist signifikant, [… Weiter liegen] keine standardisierten Hilfsmaterialien vor. […] je nach Lie­feranten kann die Sen­si­ti­vi­tät um einen Faktor 10 oder mehr variieren, was zu un­terschiedlichen positiven und negativen Raten führt, für dieselbe zu un­ter­such­ende Probe!” [S.4]

Die hier erwähnte Schwankung der Sensitivität um Faktor 10 ist in den oben beschriebenen Problemen von falsch-positiven Ergebnissen nicht enthalten, sondern zusätzlich!

“Jede Messtechnik ist mit einer Messunsicherheit behaftet. Die Messunsicherheit führt zu einer Abweichung des Messwerts von dem wahren Wert. Eine Messung ohne die Angabe der Messunsicherheit ist eigentlich wertlos, es sei denn es gibt wenigstens eine grobe Abschätzung des Messfehlers. In der Wissenschaft ist ein Messwert ohne Angabe der Unsicherheit nicht akzeptabel. […]

Eine elementare Regel bei Messung auf der Basis einer Stichprobe ist, dass der festgestellte Zahlenwert nicht von der Größe der Stichprobe abhängen darf.” [S.5]

Die Kennzahl „Fälle pro 7 Tage und 100 000 Einwohner“ ist dringendst durch eine messtechnisch und mathematisch valide Kennzahl ersetzen!” [S.6]

Ergebnis der Stellungnahme die die Forderung:

Aussetzung der Bewertung der PCR Testergebnisse, bis die genannten Schwäch­en beseitigt sind und stattdessen bis dahin Beurteilung des In­fek­ti­onsgeschehens ausschließlich auf der Basis der Zahl der Erkrankten und Ver­storbenen.” [S.10].

Keine weiteren Fragen.

Grundrechtseinschränkungen, weil keiner mehr Dreisatz kann

Mitte Mai hat die Politik den neuen vermeintlich wissenschaftlichen ‘7-Tages-Inzidenzwert’ 50/100.000 eingeführt. Auch ich habe mich positiv darüber ge­äußert. War dumm von mir. Denn das Problem ist ein vielfaches:

Der Wert gibt gar kein Verhältnis wie 50/100.000 an! Er gibt das Produkt an von Testanzahl x Inzidenz [=Häufigkeit von positiven Tests in einer Woche], und rechnet dieses zurück auf eine vermeintlich vergleichbare Be­völ­ker­ungs­größe.
Rechenbeispiel — eine Stadt / ein Landkreis mit 200.000 Einwohnern:
10.000 Tests x 1% positive Testergebnisse = 100
100 x (100.000/200.000) = 50 als 7-Tages-Inzidenzwert
1.000 Tests x 10% positive Testergebnisse = 100
100 x (100.000/200.000) = 50 als 7-Tages-Inzidenzwert

Man sieht, hier ist nicht nur nichts vergleichbar, nein, der Virus könnte sich um den Faktor 10 vermehrt haben, dies würde bei gleichzeitig weniger Tests gar nicht auffallen! Oder die zweite Welle wird hergetestet:
30.000 Tests x 1% positive Testergebnisse = 300
300 x (100.000/200.000) = 150 als 7-Tages-Inzidenzwert

Es ist bezeichnend für dieses Jahr, daß das beste Beispiel für die Un­taug­lich­keit dieser Art der Darstellung vom Postillon kommt: Ein Minister mit positivem Test aus einem Kabinett mit 15 Personen führt zu einem abartig hohen Inzidenzwert:

Screenshot von https://twitter.com/Der_Postillon/status/1319274159331921921

Auffallend ist auch, daß in den letzten Monaten der zunehmend schärfer­en ge­sellschaftlichen Diskussion in den Leitmedien kein einziges Mal die be­kann­termaßen steigenden Testzahlen in ihrer Auswirkung auf den Inzidenz­wert dargestellt haben. Die einzige mir bekannte Erwähnung kommt vom Vor­­sitz­enden des KBV in einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung vom 10. Oktober, in dem er darstellt, daß der Wert 50 mittlerweile bei 136 lie­gen müsste, da mittlerweile (136/50 =) 2,7 mal mehr getestet wird als bei Ein­führung des Wertes.

Anstelle von ‘50 damals entspricht 136 heute’ kann man den ‘Wert’ des In­zi­denz­­wertes auch andersherum als Inflation der Testungsen unterliegend dar­stellen:

Die 7-Tagesinzidenzwerte wurden Mitte Mai festgelegt. Das ‘Verhältnis’ 50 bzw. 35 zu 100.000 wurde hier ins echte Verhältnis zu den wöchentlichen Testzahlen lt. RKI, Stand 04.11.2020, gesetzt. Ergebnis: eine ‘Inflation‘ um fast 80% in einem halben Jahr! Quelle der Testzahlen: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Daten/Testzahlen-gesamt.xlsx?__blob=publicationFile. Eigene Darstellung

Die Aussage muss also lauten: wir testen so viel, daß ein Inzidenzwert von 50 heute nur noch einem Wert von 11 bei der Einführung im Mai entspricht.

Wir legen über das Jahr gesehen permanent strengere Maßstäbe an, obwohl sie nominal gleich zu bleiben scheinen!

Die rote Linie oben stellt somit so etwas wie die verbleibenden bürgerlichen Freiheiten dar.

Grundrechtsausübung in Abhängigkeit von der Ver­fügbarkeit von Test-Reagenzien und Labor­ka­pa­zi­tät­en

Zwangsläufig lernt der Mensch, sich schlimme Situationen ‘schön-zu-saufen’:

Da meine Verfassungsbeschwerde noch etwas braucht bis zur Einreichung, hier meine Version davon:

Die Test-Reagenzien werden in Deutschland knapp, berichtet die Ärz­te-Zeit­ung bereits am 11.08., und die ‘Labore kommen zunehmend an ihre Aus­las­tungs­grenzen’ schreibt die Fachpublikation medscape.com am 04.11.20.
Weiter besteht laut RKI in der ersten Novemberwoche ein Probenrückstau von knapp 100.000 Tests:

Grafik aus der oben genannten Excel-Datei vom RKI, Schriftgrößen angepasst, Monate eingefügt und das beruhigende Blau durch alarmierendes Rot ersetzt, Daten unverändert

Der Rückstau verringert auch die 7-Tages-Inzidenz. Das heißt — und ja, ich mache eine Vorhersage: die Lage wird sich nun in Richtung Weihnachten etwas entschärfen. Wie von der Politik angekündigt. Einfach, weil mehr mit der Test-Infrastruktur in Deutschland nicht geht.

Dementsprechend hat das RKI am 03.11 die Teststrategie ‘an­ge­passt’ und “empfiehlt nun in der Erkältungssaison eine neue Teststrategie für SARS­-CoV-2. Es sei unmöglich, bei allen Menschen, die Erkältungssymptome ha­ben, einen Test durchzuführen. ‘Wollten wir alle mit Er­käl­tungs­symp­to­men testen, müssten wir 3 Millionen Tests jede Woche durchführen“, sagte RKI-Vize Schade. „Das ist weder möglich, noch erforderlich.’ “

Die offizielle Begründung dazu: Wenn nicht genug da ist, ist es auch nicht erforderlich. Behörden-Kausalität in 2020.

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