WTF, Digga, oder: Herrgott nochmal! - Teil 2

Vorsätzlich falsche Nachrichten in den Leitmedien

Christian Hannig
4 min readJan 30, 2021

— Fortsetzung des gleichnamigen Artikels vom Mai —

IMMER noch eine Einordnung erforderlich? Na gut: ich bin ein anstrengender (sagt meine Tocher in 2021) Familienvater aus Hamburg, und wundere mich, in welche Schubladen ich gesteckt werde: letztes Frühjahr war ich noch Teil der linksgrün-versifften Bildungs-Bour­geoisie, aktuell gehöre ich zu meinem Erstaunen und gegen meinen Willen an­scheinend zu den Reichsbürgern, Impfgegnern, der AFD, der FDP und den Ver­schwörungstheoretikern.

Eigene abweichende Einschätzung: #Team Ioannidis #Team Crotty

Was ist der Anlass für diesen Text?

Die Zahlen zur Übersterblichkeit 2020 sind in dieser Woche in den Leitmedien angekommen:

Screenshots von links: tagesschau.de, mitte: destatis.de und rechts: spiegel.de . Die Diagramme habe ich in der Größe so nebeneinander gestellt, daß die Größenskalen identisch sind. Die etwas schmalere Zeitskala bei tagesschau.de und die deutlich schmalere Zeitskala bei spiegel.de sind legitime redaktionelle Entscheidungen, auch wenn das die Höhenausschläge auf den Größenskalen hervorhebt. (Ich mache unten etwas ähnliches. Immerhin haben alle drei Diagramme eine Null-linie. Die wird auch oft weggelassen) Das Weglassen der tödlichen Grippewelle 2018 (hellblau bei destatis.de) durch ausschließliche Verwendung des Mittelwerts ist schon grenzwertiger, erschwert es doch die Einordnung des Fallzahlen 2020. Der Spiegel färbt alles über dem Wochen-Durchschnitt ein und nimmt so die Hitzewelle (die immerhin korrekt benannt wird) optisch mit. Warum die Tagesschau in KW51 aufhört, weiß ich nicht.

Die Aussage der drei Diagramme ist hinsichtlich der Gesamt-Sterbezahlen für 2020 und die Beantwortung der Frage: gibt es durch Corona eine Über­sterb­lich­keit in Deutschland? nicht übermäßig aussagekräftig.

Aber dafür hat man ja auch die Nach­richten wie

  • Frankfurter Allgemeine Zeitung:
Zusammengesetzter Screenshot von der Frankfurter Allgemeinen
  • Tagesschau:
Screenshot von der Tagesschau auf ARD

Dort heißt es: [ab 0:50]zu diesem Zeitpunkt sind im Bundesschnitt 24% mehr Menschen pro Woche verstorben als in den vergangenen vier Jahren.”

  • Süddeutsche Zeitung:
Screenshot der Nachricht in der Süddeutschen Zeitung

Scheint ja eindeutig zu sein

Stimmt das? Nein.

Die o.g. Leitmedien bedienen sich sehr punktuell aus den Zahlen vom Statistischen Bundesamt und verkaufen diese Auswahl als ge­sam­te Nachricht.

Schauen wir doch mal, wo in dem Diagramm von Destatis die Zahlen zu finden sind, die uns die uns in den Nachrichten präsentiert werden:

Das Diagramm auf destatis.de (von mir hier und hier schon verwendet) ergänzt um Hinweise auf die Herkunft der oben zitierten Aussagen aus ARD, FAZ und SZ sowie des Spiegels, der noch am realitätsnächsten titelt: ‘keine deutliche Übersterblichkeit in Deutschland’, dafür aber alles über dem Durschnitt rot einfärbt.

Aber die Gesamtaussagen der Nachrichten wie 5 Prozent mehr Tote als 2019, Zahl der Sterbefälle 2020 stark gestiegen und 29% mehr Men­schen gestorben stimmen doch trotzdem?

Nein. Nein. Und nochmal: Nein.

Warum nicht?

Jeder dürfte sich an die Alterspyramide erinnern. (Schule, Nachrichten, o.ä.) Diese führt dazu daß derzeit und noch mehrere Jahre lang jedes Jahr mehr Menschen sterben (werden) als im Vorjahr.

Einfach aufgrund der Alterung der Bevölkerung.
Bzw. genauer aufgrund der sehr alten Menschen, deren Anzahl derzeit schneller wächst als die durchschnittliche Lebenserwartung der Bevölkerung.

Hier die Entwicklung seit 2006:

Eigenes Streudiagramm mit den Gesamtzahlen der jährlich Verstorbenen in Deutschland. Lineare Trendlinie durch Excel berechnet. Daten von Destatis. Gut sichtbar die ein- bis zwei jährlich leicht steigenden und wieder fallenden Zahlen bei einem eindeutigen und erstaunlich stabilen Trend.

Hier eine Ausschnitt aus dem Diagramm oben um die jährlichen Ab­weich­ung­en von der Trenlinie besser zu erkennen: [Grundlinie 800.000 statt 0]

Eigenes Streudiagramm mit den Gesamtzahlen der jährlich Verstorbenen in Deutschland. Lineare Trend­linie durch Excel berechnet. Zusätzliche hellblaue Linien parallel zur Trendlinie auf Höhe der Mindest- und Ma­xi­mal­wer­ten der letzten Jahre, sprich: dem (min/max) Bereich in dem die zu erwartende Übersterblichkeit in einem ganz normalen Jahr liegen sollte. War das Jahr normal? Sicher nicht. Die Gesamtsterblichkeit aber schon. Statistisch gesehen waren 2015 und 2018 schlimmere Jahre als 2020!

Was ist also zu erkennen?

Es sind 2020 3,5%¹ (und nicht 5%, wie die FAZ schreibt) mehr Menschen gestorben als 2019
weil 2019 ‘besonders’ wenige² gestorben sind
weil 2020 einen Tag länger³ war als 2019
weil wegen der Alterspyramide mehr Todesfälle als 2019 zu erwarten waren. So wie die letzten zehn Jahre und länger schon.

Die Zahlen für 2020 liegen richtig — und von 3,5% abweichend— zwischen 0,29%⁴ und 1,24%⁴ über den zu erwartenden Zahlen⁵. Und die Zahlen für 2015 lagen 6,5%⁶ höher als 2014, ohne dass das jemanden erschreckt hat.

¹ 972.155 zu 939.520 = 3,5% Steigerung
² was dazu führte, das es in 2020 überdurchschnittlich viele sehr alte Menschen gab
³ ein Tag mehr bedeutet ca. 2.500 Verstorbene mehr
aufgrund der regelmäßigen Abweichungen von der statistischen Trendlinie
Genaue Berechnung der Werte 0,29% und 1,24% in diesem Artikel hier
⁶ 925.200 zu 868.356 = 6,5% Steigerung

Was ist noch zu erkennen?

Die Leitmedien arbeiten hier unlauter und tendentiös — vor Gericht wären das Falschaussagen

Was ist noch zu erkennen?

Die Aussage der SZ aus dem Artikel oben stimmt jetzt doch wieder — nur anders als beabsichtigt.

0,29% bis 1,24% Übersterblichkeit! Siehe oben.

Dem habe ich nichts hinzuzufügen.

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